Fotos: Falk Wenzel
Wagner und Marx. Der Ring und Das Kapital. Die raunende Welterzählung und die große Analyse als Ausgangspunkt einer musiktheatralen Expedition in die ideologische Antike und die Zukunft des Musiktheaters.
An Richard Wagner und Karl Marx kommt man kaum vorbei. Für beide gilt, es gibt ein vor und nach ihnen – in der Kunst und im Denken. Kaum ein künstlerisches oder wissenschaftliches Projekt ist ähnlich monumental in seinem Anspruch. Aber was ist heute anzufangen mit dem Versprechen einer sowohl ästhetischen wie politisch-ökonomischen Revolution, einem Kunstwerk der Zukunft? Das 20. Jahrhundert hat die Ressource Zukunft aufgebraucht, von der das 19. Jahrhundert träumte. Nach dem sogenannten Ende der Geschichte ist ein positiver Bezug auf Zukunft vermeintlich kaum noch denkbar und sind politische wie künstlerische Avantgarden diskreditiert und erschöpft. Vielmehr erscheint die Welt als in einem rasenden Stillstand und dauerhaft ausgedehnten Krisenzustand ohne Ausweg gefangen. Alles zu komplex und zu ambivalent um es noch verstehen zu können? Wagen wir den Blick zurück nach vorne!
In der ersten Inszenierungsreihe im Operncafé nehmen wir uns die Hauptwerke von Richard Wagner und Karl Marx vor als Material für eine assoziative Reihe von Inszenierungen, Happenings, Lecture-Perfomances, performativen Collagen und künstlerischen Experimenten. Neben den Hausregisseuren Florian Lutz, Veit Güssow und Michael v. zur Mühlen haben wir Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Disziplinen wie den Leipziger Autor Clemens Meyer, den Komponisten und Konzeptkünstler Johannes Kreidler, die Regisseurin Katja Czellnik u.a. eingeladen, monatlich jeweils eine Ausgabe zu gestalten. Über die ganze Spielzeit hinweg entsteht so eine komplexe und vielgestaltige Wucherung mit Suchtpotential.
THIS IS THE END OF THE WORLD, DONʼ T YOU KNOW THAT YET?
von Michael v. zur Mühlen
Es sei einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus – hat mal jemand geschrieben. Wahrscheinlich hat er Recht. Jedenfalls gibt das unproportionale Verhältnis einer als krisenhaft, instabil und bedrohlich empfundenen Gegenwart gegenüber einem Mangel an Phantasie, dass »das Ganze« auch von Grund auf anders sein könnte wenig Hoffnung. Das apokalyptische Szenario scheint wahrscheinlicher als die Aufhebung der Widersprüche und die Erlösung in einer besseren und frohen Zukunft. Überhaupt Zukunft, was war das nochmal? Und was ist heute noch anzufangen mit dem Versprechen einer sowohl ästhetischen wie politisch-ökonomischen Revolution, einem Kunstwerk der Zukunft?
Zukunft als etwas, das es zu erobern gilt und ein Versprechen birgt, scheint landläufig undenkbar geworden. Alles kann nur schlechter werden, so geht die Fama. Wo das no future des Punks noch lustvoll Gefallen an der Zerstörung und dem Spiel mit provozierenden Gesten fand, sind wir heute in gewissem Sinne alle Punks – nur leider nicht so gut drauf und meistens nüchtern! Und vor allem: unglaublich angepasst und leistungsorientiert. Vielmehr gehen mit Veränderungen Ängste einher: Zu versagen, es nicht zu schaffen, abgehängt zu werden. Das ruft Gespenster auf den Plan, selbstverständlich andere als die, die Marx umgehen sah, als er die Erniedrigten und Beleidigten, das Proletariat als die Akteure der Geschichte beschwor.
Raus aus der Depression, rein in die Nische.
Bevor ich noch schlechtere Laune kriege: Ab in die Wärmestube der Kunst. TINA, T(here)I(s)N(o)A(lternative), ruft es immerzu und Wagner- Beuys-Meese-Marx halten mit »Kunst, Kuuuunst!« und »TATA, T(here) A(re)T(housands of)A(lternatives) dagegen. Mir dröhnt der Kopf. Künstler wollen einem ja gerne erklären, die Kunst sei das wahre Leben. Take me to the club, Take me to the Club. Marx macht die Bar, Cosima erklärt das Opernhaus zum grünen Hügel, Callas opfert sich für die Kunst. Aber halt: WO STEHST DU MIT DEINER KUNST, KOLLEGE? Na hier, wo die Guten sind, auf Seiten der Schönheit und der Würde, singen die Heiligen Drei Tenöre in den Masken von Goethe-Brecht, Schiller-Adorno und Lenz-Deleuze (der Afrikaner an der Krippe, jaja der Wolf kommt aus dem Süden) um die Wette. Lesen wir ihn also wieder auf, den gerissenen Schicksalsfaden mit Hilfe von Ritchies Nornen. Was nicht sagbar ist, kann man singen, haha. »Wo man singt, da laß’ dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder«, glaubt heute auch kein Mensch mehr – gemeinsam sind wir stark, ne? Ich will wieder weich (solidarisch) statt hart werden. Wie weit muss zurückgeschaut werden, um Zukunft denken zu können? Jedenfalls geht es los, am 4. Oktober. Kommen Sie zahlreich!
Michael v. zur Mühlen
Ausgabe I
VOM ENDE ZUM ANFANG: GÖTTERDÄMMERUNGEN UND WELTVERWIRRUNG
Der Auftakt der Reihe als lustvolle Party einer zukünftigen Gemeinschaft nach dem vermeintlichen Ende der Geschichte und eine Feier der Kunst. Von und mit Anke Berndt, Christoph Ernst, Ines Lex, Isabell Rejall, Hagen Ritschel, stefanpaul, Vincent Stefan, Kay Stromberg u. a.
Inszenierung: Michael v. zur Mühlen
Ausgabe II
DIE INDUSTRIEALISIEURNG DER ROMANTIK
In der zweiten Ausgabe der Reihe nach Richard Wagner und Karl Marx wird Johannes Kreidler auf den Spuren der Industralisierung der Romantik ein Happening für die Oper Halle erarbeiten. Der Komponist und Aktionskünstler Johannes Kreidler ist einer der meist diskutierten und polarisierenden Figuren der Neuen Musik. Musik allein gibt es für Kreidler nicht. Musik hat mit Technologie zu tun, und mit der Politik der Technologie, mit Konsumverhalten und dem kulturellen und wirtschaftlichen Wert von Kunst. Politik und Alltag lassen sich für ihn nicht ausklammern, wenn er komponiert. Die Nöte in denen man sich nun mal befindet, müssen in das Kunstwerk hereingeholt werden, das was sonst subkutan passiert, soll deutlich werden. Das Material für Kreidler ist die Welt, die uns umgibt, das Internet, unsere durchökonomisierte und technologische Welt. Fallende Börsenkurven speist er in einen Kompositionscomputer für Kinder ein und heraus kommt wohl die beschwingteste und naive Melodie zur Krise. Globalisierte Ausbeutung thematisiert er nicht über die Abbildung, sondern im Nachvollzug der Mechanismen: In der Auftragskomposition fremdarbeit, agierte er als Komponisten-Unternehmer und reichte den Auftrag an in China und Indien lebende und deutlich billiger arbeitende Komponisten weiter: Das was alltäglich hingenommen wird, gewinnt provozierende Lesbarkeit.
Konzept / Regie / Performance: Johannes Kreidler
Mit: Dan Karlström, Kay Stromberg, Johannes Kreidler
Ausgabe III
»YOU CAN CHANGE YOURSELF INTO GOLD« – ein oneirologisches Happening von angermayr/goerge
Johann Christian Reil, ein Minecraft-Nothung-Schwert und Marx als Prometheus; das Fahnenmonument in Halle, Goldminen in der afrikanischen Savanne, Nibelheim und Disney-Zwerge –für die vierte Ausgabe des KUNSTWERKS DER ZUKUNFT schaffen die Künstler angermayr/goerge nach der Logik surrealer Träume eine überbordende begehbare Operninstallation. Eine Mythen-Maschine der globalisierten Welt mit deren verpassten Träumen als Rohstoff. Es spielen und singen Sängerinnen und Sänger der Oper Halle sowie der aus Burkina Faso stammende Filmemacher und Schauspieler Lionel Poutiaire Somé und der Schauspieler Abdoul Kader Traoré.
Textcollage / Regie / Konzept Thomas Goerge, Daniel Angermayr
Wotan / Alberich Gerd Vogel
Mime Ralph Ertel
Fafner Vladislav Solodyagin
Rheintochter Wellgunde Anke Berndt
Erda Svitlana Slyvia
Siegfried Abdoul Kader Traoré
Mann mit der Wagnermaske Lionel Poutiare Somé
Klavier Tino Fiebig
Ausgabe IV
MIME, MONSTREN, MARX UND MUTATIONEN
Eine Wohngemeinschaft der besonderen Art, bevölkert von Geistern der Vergangenheit, Fiktionen und Mutationen. Wer macht den Dreck weg? Die Bewohner der Welt-WG laborieren an einem Instrumentarium zur Ortung der scheinbar unauffindbaren Insel Utopia. Aber ein gefährlicher Untermieter hat sich eingenistet: Das Monster einer apokalyptischen Weltentwicklung ...
Textcollage, Regie, Konzept, Performance und Installation: Katja Czellnik, Orli Baruch, Iris Christidi, Sangwa Park, Tatiana Reh, Jezi Tay.
Gesang: Ralph Ertel
Flügel: Kay Stromberg
Ausgabe V
DER HERR DER NIBELUNGEN ODER MEIN SCHATZ GEHÖRT DEM VOLK // Vol. 2 - Es geht um die Wurst
„Wanderer, der du da gangest, das Kunstwerk der Zukunft wirst du nicht in luftigen Höhen, finden nein, graben muss man, im Dreck, im Schlick in der Erde Mitteldeutschlands wir graben nach der Zukunft, dabei hatten wir sie doch schon einmal, wir lebten im Land der Zukunft das jetzt Vergangenheit ist - Schmarrn, gebt mir einen Schaufelradbagger und einen Panther und wir walzen alles weg, dann erst wird Zukunft entstehen, aus dem Dreck und wie immer live und improvisiert.“ (Clemens Meyer)
Das Kunstwerk der Zukunft VI (Vol. 1) am 21. März entstand im Moment, live und improvisiert und vor allem nicht wiederholbar. Deswegen ist am 04. April bei (Vol. 2) alles ganz anders, hier und da bekannt, in jedem Fall erneut live und improvisiert. Meyer meets Wagner in the middle of Marx. Der Ring neu gelesen und kontextualisiert. Gnadenlos geplündert, auf dass vielleicht wirklich für einen Moment etwas Neues entsteht, das vielleicht, nein ganz bestimmt zumindest KUNST ist. Es wird um Schätze gehen, Artefakte, ausgegrabene Zeugnisse einer untergegangenen Kultur, die für uns heute utopisch anmutet. Liegt in der Vergangenheit begraben, was für uns heute... Erst einmal eine Bratwurst! Der Koch und Gastronom Dietrich Enk alias Marx/Bakunin/Bud Spencer und Matthias Leisching werden frische Würste zubereiten. Einführung in die Produktion. Die Wurst - vom Brett in den Darm, in die Pfanne, in das Brötchen. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Es geht also um die Wurst. Blitzte am 21. März hier und da das bei Marx und Wagner angelegte utopische Potential einer neuen Gesellschaft und Kunst auf, so soll diesmal am 04. April ausschließlich und unbedingt danach gegraben werden.
Clemens Meyer wird sich erneut mit seinen Mitstreitern, dem bildenden Künstler und DJ Enrico Meyer und dem Dramaturgen Johannes Kirsten Wagners Ring und Marx' Gesellschaftsentwurf widmen. Unterstützt werden sie von dem Bass Vladislav Solodyagin und dem Schlagzeuger der Staatskapelle Ivo Nitschke.
Von und mit: Johannes Kirsten, Clemens Meyer, Enrico Meyer, Dietrich Enck, Ivo Nitschke, Vladislav Solodyagin