Fotos: Falk Wenzel
“Diese Inszenierung sollte schnellstmöglich aufgezeichnet und der Datenträger ins All geschossen werden, […] für den Fall, dass wir untergehen und Außerirdische sich für uns interessieren. Diese Aufführung markiert einen Präzedenzfall. Sie zeigt, was Oper im 21. Jahrhundert kann, wenn sie diskursiv auf der Höhe der Zeit ist und ästhetisch von bestrickender Durchlässigkeit.”
“Plötzlich wirken sie wie Schnee von gestern: die bisherigen Interpretationen von Verdis Festoper „Aida”. Denn jetzt fragt an der Oper Halle Regisseur Michael v. zur Muehlen mit seiner Dramaturgin Jeanne Bindernagel nach der emotionalen Relevanz des Gesamtkunstwerks Oper für das digitale Zeitalter.”
Was hat ein Opernhaus 1871 in Kairo zu suchen? Mit seiner gen Westen ausgerichteten Fassade, gebaut auf der Nord-Süd-Achse, der Trennlinie zwischen der alten islamischen Stadt und dem neuen Kairo nach europäischem Vorbild, ist es Symbol für das kulturelle und ökonomische Streben des Westens nach Vorherrschaft in Afrika und die Orientierung der dortigen Oberschicht an der europäischen Hegemonie. Am Heiligen Abend 1871 wird hier Verdis wohl berühmteste und erfolgreichste Oper Aida uraufgeführt. Wenige Jahre später beginnt ein wahrer Wettlauf der europäischen Mächte um die Aufteilung Afrikas – das Zeitalter des Imperialismus teilt den Kontinent am Reißbrett neu auf. Erst kam die Oper, dann folgten die Kanonenboote.
Verdi gibt in der Dreiecksgeschichte der in Ägypten versklavten Äthiopierin Aida, des ägyptischen Feldherrn Radamès und der Königstochter Amneris eine dramatische Vorahnung dieser Auseinandersetzungen, indem er sie durch den Kampf zweier Kulturen rahmt. Die ferne Hochkultur Ägypten mit ihren Pyramiden, Elefanten und Pharaonen im Kampf gegen die vermeintlich wilden äthiopischen Aufständischen bietet eine Folie für viel nähere und zeitgenössischere Konflikte. So ist das brachiale Kriegsgeschrei der Ägypter (»guerra, guerra«) ein Widerhall des zunehmenden Militarismus und Nationalismus in Europa – in einem Brief an seinen Librettisten Ghislanzoni entgegnet Verdi auf die Frage wie der ägyptische Pharao zu sprechen habe, vielsagend, er solle sich die Telegramme des preußischen Kaisers Wilhelm I. genau anschauen.
In diesem kriegerisch aufgepeitschten gesellschaftlichen Klima ist das Glück der Liebe für die aus entgegengesetzten Welten kommenden Hauptfiguren Aida und Radamès nicht zu haben. Ihnen bleibt nur das Begräbnis bei lebendigem Leib, der Tod. Aber was für die Menschen tödlich und für die Welt schlecht ist, ist für die Dramaturgie der Oper bekanntlich sehr gut. Verdi setzt mit einer unsterblichen Musik dem unauflösbaren Konflikt das Versprechen der utopischen Liebe und Erlösung in einer anderen, besseren Welt entgegen – auf dass sie (nicht) Realität werde…
Wir freuen uns, für die Produktion der Aida mit dem Videokünstler und Fotografen Hans Eijkelboom zusammen zu arbeiten. Dessen Arbeit "The Street & Modern Life, Birmingham, U.K." war zuletzt auf der documenta 14 in Athen zu sehen und wird nun als Teil der Inszenierung in Halle präsentiert.
Mit: Der König: Ki-Hyun Park / Sebastian Kroggel (20.01., 25.01, 28.01.), Amneris: Svitlana Slyvia, Aida: Yannick-Muriel Noah / Kristin Ebner (28.01.), Radamès: Magnus Vigilius, Ramfis: Vladislav Solodyagin, Amonasro: Oleksandr Pushniak., Ein Bote: Yuriy Svatenko / Sebastian Byzdra, Eine Tempelsängerin: Kaori Sekigawa / Uta Eckert, Chor und Extrachor der Oper Halle, Statisterie der Oper Halle, Staatskapelle Halle